Andreas Hofer Bund e.V.
© Andreas Hofer Bund e.V. 2015
Bozen
BAS - Opfer für die Freiheit
Die späten 1950er- und die 1960er Jahre in Südtirol sind im Gedächtnis
der Zeitgenossen festgemacht an mehreren Versuchen, das
Selbstbestimmungsrecht der deutsch- und ladinisch-sprachigen
Bevölkerung Südtirols gegenüber dem italienischen Zentralstaat
einzufordern.
Bereits am 17. November 1957 hatte es eine eindrucksvolle plebiszitäre
Kundgebung von 35.000 Südtirolern auf Schloss Sigmundskron gegeben,
bei der Dr. Silvius Magnago, der charismatische Parteiobmann der
Südtiroler Volkspartei und spätere langjährige Landeshauptmann von
Südtirol, im Namen der Südtiroler Bevölkerung die römische Regierung
aufrief, die ständige Missachtung des Pariser Südtirol-Abkommens vom
5. September 1946, die überbordende Zuwanderung aus Süditalien, die
vielfachen Zurücksetzungen und Beleidigungen gegen Südtiroler
Bürgerinnen und Bürger zu unterlassen.
In Südtirol herrschte damals eine Atmosphäre geradezu provokativer
Repression. Unsere Landsleute waren laufend Anpöbelungen,
Verhöhnungen und Diffamierungen ausgesetzt. Vor dem Bozner
Schwurgericht wurden am laufenden Band so genannte Schmähprozesse
(z.B. wegen des Hissens von weiß-roten Tiroler Fahnen) abgewickelt.
Immer wieder wurden örtliche Versammlungen der Südtiroler
Volkspartei von neufaschistischen Randalierern gestört. Mit der
praktischen Ausgrenzung der Südtiroler von den staatlichen und
halbstaatlichen Stellen ging eine forcierte Zuwanderung aus dem Süden
Italiens einher, die geradezu beängstigende Ausmaße annahm. Mehrere
Tausend Südtiroler mussten jährlich ihre angestammte Heimat verlassen, um in Deutschland und in der Schweiz Arbeit zu suchen, weil
sie von den öffentlichen Stellen einfach ausgesperrt blieben und weil gleichzeitig durch die Technisierung der Landwirtschaft immer
mehr Arbeitskräfte freigesetzt wurden. Durch ein vom Staat massiv gefördertes Wohnbauprogramm wurden in Südtirol, vorab hier in
Bozen, mehrere Tausend Volkswohnungen errichtet, von denen aber nicht einmal 6% Südtirolern zugewiesen wurden.
Auf diese besorgniserregende Gesamtsituation eingehend, schrieb damals Kanonikus Michael Gamper, über Jahrzehnte hindurch
bewährt als Fels in der politischen Brandung Südtirols, in einem “Dolomiten“-Leitartikel: “....Es ist ein Todesmarsch, auf dem wir
Südtiroler uns seit 1945 befinden, wenn nicht noch in letzter Stunde Rettung kommt.“
Auf Sigmundskron wurde 1957 zwar nicht, wie vom damals eben erst gegründeten Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) gefordert und
erwartet, das „Los von Rom“ ausgerufen. Zu eindeutig drohte den Verantwortungsträgern und der SVP das Damoklesschwert des
berüchtigten faschistischen Strafgesetzes „Codice Rocco“: Verhaftungen und Parteiauflösung waren ja bereits angedroht worden.
Immerhin wurde aber statt dessen die Forderung „Los von Trient“ beschlossen und damit das Ende der Bevormundung Südtirols durch
das italienische Trentino im Regionalrat proklamiert.
Die friedlich verlaufene Volkskundgebung hatte es vermocht, tausende Südtirolerinnen und Südtiroler wachzurütteln und ihr Identitäts-
und Selbstbewusstsein in Zeiten stärkster politischer Repression zu stärken. Aber auch der gleichzeitig von beherzten Männern um Sepp
Kerschbaumer ins Leben gerufene BAS konnte in den Monaten nach der Kundgebung einen starken Zulauf verzeichnen. Dem anwesenden
letzten noch lebenden BAS-Mitbegründer Sepp Innerhofer gilt mein besonderer Gruß und mein Dank für seinen selbstlosen Einsatz.
Die Römische Regierung zeigte jedoch auch nach der europaweit beachteten friedlichen Großaktion von Sigmundskron und den darauf
folgenden Verhandlungen zwischen Österreich und Italien zum Abbau der Spannungen keinerlei Entgegenkommen.
Daraufhin versuchte der BAS mit gezielten Aktionen auf die unhaltbar gewordene Situation durch eine „Strategie der feinen
Nadelstiche“, wie sein Anführer Sepp Kerschbaumer es umschrieb, aufmerksam zu machen. Das Mittel der Wahl waren mehrere
Anschläge gegen staatliche Sachgüter und gegen materielle Symbole der früheren faschistischen Staatsmacht.
Der Höhepunkt war die Serie von Anschlägen in der Nacht des Herz-Jesu-Sonntags 1961 und vereinzelte Anschläge in den Folgejahren,
die weltweit Aufsehen erregten, aber auch die Staatsmacht zu überzogener Verfolgung der Urheber mit unmenschlichen Folterungen und
unverhältnismäßig langen Haftstrafen verleitete.
Zusätzlich waren die Freiheitskämpfer und mit ihnen alle mitfühlenden Tiroler dadurch gedemütigt worden, dass ihre skrupellosen
Folterer nicht nur vom Gericht in Trient freigesprochen, sondern drei Tage darauf in Rom sogar feierlich empfangen, ausgezeichnet und
befördert wurden.
Hingegen warten ein paar unserer außer Landes lebenden Aktivisten der 60er Jahre, die, wohlgemerkt, nachweislich kein
Menschenleben auf dem Gewissen haben, seit über fünf Jahrzehnten vergeblich auf eine Begnadigung durch den italienischen
Staatspräsidenten. Dazu zählen die inzwischen nur noch drei „Puschtra Buibm“. Dies ist umso schändlicher, als in Italien der „schwarze“
und der „rote“ Terrorismus einige Jahre nach der Südtiroler Feuernacht wahre Blutbäder angerichtet hat. Richter und Staatsanwälte,
1978 sogar ein Aldo Moro, sind gewaltsamen Entführungen und feigen Mordanschlägen zum Opfer gefallen. Da waren wirkliche
Terroristen und Mordbuben am Werk, aber schon seit Jahren sind so gut wie alle in Freiheit!
Unsere Aktivisten haben zwar ihr Ziel, die Wiedervereinigung Tirols durch die Selbstbestimmung für Südtirol, nicht erreicht, wohl aber
hat sich aufgrund ihrer Aktionen die UNO-Vollversammlung 1961 erneut mit Südtirol befasst.
Die unterbrochenen Verhandlungen zwischen Österreich und Italien für eine Verbesserung der bestehenden Südtirol-Autonomie wurden
wieder aufgenommen. Von der römischen Regierung wurde die 19er-Kommission eingesetzt, die konkrete Maßnahmen für eine bessere
Autonomie erarbeitete. Dieses „Paket“ ist schließlich 1972 als „Neues Autonomiestatut“ in Form eines Verfassungsgesetzes der Republik
Italien in Kraft getreten, wenngleich noch weitere zwei Jahrzehnte ins Land ziehen sollten, ehe die letzten staatlichen
Durchführungsbestimmungen dazu erlassen wurden.
Wer die schweren, ja turbulenten Zeiten, die in der heute zu eröffnenden Dauerausstellung dokumentiert werden, hautnah miterlebt
hat, hegt wohl keinen Zweifel darüber, dass die Freiheitskämpfer der 50er und 60er Jahre-durch ihren beherzten Einsatz und ihre
großen Opfer einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung der neuen, qualitativ unvergleichlich besseren Autonomie Südtirols geleistet
haben. Das Selbstbestimmungsrecht zur Erlangung der Wiedervereinigung unserer Heimat mit dem Bundesland Tirol und dem Vaterland
Österreich blieb uns Südtirolern jedoch weiterhin versagt.
Wenn nun die österreichische Bundesregierung, 100 Jahre nach dem verheerenden Ausgang des 1.Weltkrieges, den Südtirolern, die
sich ihrer Herkunft und Geschichte noch bewusst sind, durch eine großzügige Geste die österreichische Staatsbürgerschaft als Zweit-
Staatsbürgerschaft in Aussicht stellt, dann ist dies für viele unserer Landsleute eine willkommene Herzensangelegenheit. Niemand wird
jedoch gezwungen sein, dieses Angebot anzunehmen. Jeder wird frei darüber entscheiden können und niemandem wird etwas
genommen. Umso weniger vermag ich die diversen Animositäten zu begreifen, die rund um dieses Thema kursieren. Und ich mag mich,
weil ich diese freundliche Geste Österreichs gut fände, auch nicht von Obrigkeiten aus Kirche und Politik deshalb zum Unfriedensstifter
stempeln lassen.
Die heute zur Eröffnung anstehende „Ständige Ausstellung“ heißt „BAS – Opfer für die Freiheit“ und würdigt den Einsatz und das
Leiden der Südtiroler Freiheitskämpfer und Freiheitskämpferinnen der 60er Jahre und ihrer Familien.
Im Friedhof von St.Pauls gedenken der Südtiroler Heimatbund und der Südtiroler Schützenbund alljährlich am 8. Dezember aller
verstorbenen Aktivisten der 60er Jahre, die sich für die Einheit und Freiheit Tirols aktiv eingesetzt haben.
Auf der Gedenktafel neben dem Gefallenendenkmal sind stellvertretend für alle Sepp Kerschbaumer, Franz Höfler, Toni Gostner, Luis
Amplatz, Jörg Klotz und Kurt Welser verewigt. Ihnen und ihren Familienangehörigen, aber auch allen übrigen Aktivisten der
angesprochenen Zeit soll diese „Ständige Ausstellung“ in Dankbarkeit für ihre erbrachten Opfer gewidmet sein.
Die Exponate hat der ebenfalls heute unter uns weilende Freiheitskämpfer Sepp Mitterhofer für den Südtiroler Heimatbund gesammelt.
Auch ihm, dem Unentwegten, möchte ich einen besonderen Gruß und ein herzliches Vergelt‘s Gott für seinen ungebrochenen
idealistischen Einsatz für unsere Heimat aussprechen. Einige Exponate sind Leihgaben von Privaten und vom Tiroler Landesmuseum
Ferdinandeum Innsbruck. Der Südtiroler Heimatbund mit seinem Obmann Roland Lang und dem Ehrenobmann Sepp Mitterhofer hat das
Museum angeregt und angestoßen. Die Trägerschaft hat der Andreas-Hofer-Bund Tyrol mit seinem Obmann Ing. Winfried Matuella
übernommen. Der Militärhistoriker Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner hat die Texte verfasst und mit seiner Frau Mag. Sylvia die
Ausstellung konzipiert und mit Martin Dorfmann und Elmar Thaler aufgebaut.
Dr. Speckner gebührt aber auch ein ganz besonderer Dank für sein jüngstes historisches Werk „Von der Feuernacht zur Porzescharte – Das
Südtirolproblem der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten“. Er enthüllt darin, dass es in der heißen Zeit
der Anschläge der 60er Jahre eine ganze Reihe offenkundiger Geheimdienst- manipulationen zu Lasten unserer Freiheitskämpfer
gegeben hat. Bei mehreren auch für die Zivilbevölkerung gefährlichen Anschlägen hatten ganz offenbar „italienische Dienste“ (oder
neofaschistische Kreise) ihre Hände im Spiel. Hier war es ganz offenkundig darum gegangen, die „terroristi altoatesini“ als gewissenlose
Attentäter hinzustellen, welche selbst vor der Auslöschung von Menschenleben nicht zurückschrecken würden. Lieber Hubert, für diese
Zurechtrückungen und damit längst fälligen Rehabilitierungen mehrerer Aktivisten, sei Dir aufrichtig gedankt.
Ein besonderer Dank für die finanzielle Absicherung dieser musealen Einrichtung gebührt den zahlreichen Spendern aus der Bevölkerung
sowie insbesondere der Laurin-Stiftung (Liechtenstein) unter ihrem Vorsitzenden Univ. Prof. Erhard Hartung, der aus den bekannten
Gründen zwar nicht unter uns weilen kann, für den Südtirol aber nach wie vor ein Herzensanliegen ist.
Zum Abschluss darf ich auch noch meinem Jugendfreund, dem Hausherrn Dr. Dieter Waldthaler, selbst Zeitzeuge der 1960er Jahre, einen
besonderen Dank aussprechen und allen Anwesenden eine nachdenkliche Eröffnungsfeier wünschen.