Andreas Hofer Bund e.V.
© Andreas Hofer Bund e.V. 2015
Bruneck
Der “Unabhängigkeitstag” von Bruneck - eine Nachbetrachtung
Von Reinhard Olt
„Das schönste deutsche Land liegt am Brennerhang. Uns genommen durch Kriegsrecht,
uns geblieben durch Menschenrecht. Keiner kann es entfremden, keiner darf es
enteignen. Dies deutsche Sprachland; dies deutsche Weinland; dies deutsche
Blumenland; dies deutsche Lichtland. Der Ruf soll ergehn: ,Heraus damit!’ – solange
noch unsereins Worte hat; und eine Feder; und eine Sehnsucht; und einen Willen.“ Was
der Schriftsteller Alfred Kerr Ende der 1920er Jahre in Worte fasste, galt dem im
schändlichen Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye Italien zugesprochenen
südlichen Teil Tirols.
Im Gegensatz zu heute wusste man damals noch, dass des Dichters Adjektiv „deutsch“
Sprache und Kulturgemeinschaft meinte, nicht national(staatlich)es Terrain. Zumal da
es noch nicht allzulange her war, dass der österreichische Kaiser und ungarische König
Franz Josef I. ganz selbstverständlich vor aller Welt bekannte: „Ich bin ein deutscher
Fürst“. Und dass das Land unterm Brenner, als Teil des Habsburgerkronlandes Tirol, zu
Österreich gehörte und Italien, das 1915 die Seiten gewechselt und es 1918 trotz
Abschluss des Waffenstillstandes kurzerhand annektiert hatte, im Pariser Vorortvertrag
vom 10. September 1919 als Kriegsbeute zugesprochen worden war.
Selbstbestimmung verweigert
Dort verblieb es auch nach dem Zweiten Weltkrieg und firmiert seitdem als „Provincia
Autonoma di Bolzano-Alto Adige“, wenngleich die gesamte Tiroler Bevölkerung in
Unterschriftensammlungen Manifestationen des Zusammengehörigkeitswillens
dokumentierte und jüngste demoskopische Befunde in Südtirol sowie in Österreich den
Wunsch nach Abhaltung eines Referendums über die Zukunft untermauern. Nie wurde
den zwischen Brenner und Salurner Klause, zwischen Reschen und Dolomiten lebenden Menschen die Möglichkeit zuteil, gemäß
dem Selbstbestimmungsrecht über ihre territoriale Zugehörigkeit, mithin über die Eigenständigkeit ihrer Heimat, zu befinden.
Maßgeblichen politischen Verantwortungs- und Entscheidungsträgern kam der Begriff Selbstbestimmung seinerzeit inflationär über
die Lippen, als es ihnen um die gesetzliche Regelung der fallweisen Unterbrechung weiblicher Fertilität zu tun gewesen ist. In
unserem Sinne bemüh(t)en sie sich tunlichst darum, die Erwähnung des Selbstbestimmungsrechts zu vermeiden.
Für die österreichische Außenpolitik und die Mehrheit des Nationalrats gilt die Autonomie Südtirols ausweislich einer
parlamentarischen Resolution vom Juli 2015 sozusagen als eine Art bereits vollzogener besonderer Form der Selbstbestimmung.
Und als „Ewiggestrige“ - laut Außenminister Sebastian Kurz, dem sich SPÖ, ÖVP, Grüne, Neos und deren Pendants in Innsbruck
und Bozen beflissen anschließen - ,wer diesem völkerrechtlich verkürzten geistig-politischen Tiefflug nicht zu folgen bereit ist.
„Los von Rom“
Das sind viele, wie sich stets erweist. Soeben legten in Bruneck mehrere tausend Menschen auf einer von der
„Arbeitsgemeinschaft iatz!“ (iatz = jetzt) des Südtiroler Schützenbundes (SSB) organisierten, volksfestartigen Zusammenkunft ein
Bekenntnis zum Beschreiten des Weges ab, der zur Unabhängigkeit ihrer Heimat führen soll. Wen wundert’s, dass sich unter der
Parole „Los von Rom“ nicht nur Tiroler von diesseits und jenseits des Brenners, sondern auch Vertreter von Venezianern,
Triestinern, Lombarden, Friulanern und Sizilianern im Pustertal einfanden, sondern auch Basken und Katalanen sowie Flamen
und Schotten, deren „Los von …“ den Hauptstädten Madrid, Brüssel und London gilt.
Volksbewegungen
Für Manu Gomez hat das Referendum von Arrankudiaga (November 2014) zwar nicht die Unabhängigkeit des Baskenlandes
gebracht, zumal das spanische Verfassungsgericht bisher jede derartige Regung als verfassungswidrig verwarf. Dennoch sei damit
ein Schneebrett losgetreten worden, welches zur Lawine anwachse.
Shona McAlpine von der 2012 gegründeten Bewegung „Frauen für die Unabhängigkeit“ aus Glasgow wies darauf hin, dass beim
Referendum 2014 nur wenig fehlte, um aus Schottland einen unabhängigen Staat zu machen. Dennoch habe sich seitdem politisch
einiges ereignet. So haben in der Wahl zum schottischen Regionalparlament unlängst die Unabhängigkeitsbefürworter abermals
die Mehrheit der Sitze errungen. Die dominante Nationalpartei SNP will über das „Los von London“ sofort wieder eine neuerliche
Volksabstimmung ansetzen, sollten sich die Briten am 23. Juni mehrheitlich gegen den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der
Europäischen Union (EU) aussprechen. In Edinburgh hingegen ist man klar gegen den „Brexit“.
Die Katalanin Anna Arqué, die schon auf dem ersten derartigen „Unabhängigkeitstag“ (Mai 2013) in Meran sowie anlässlich der
dortigen Andreas-Hofer-Feier im Februar 2016 eine die politisch-korrekte Politik- und Medienwelt EUropas verstörende Rede
gehalten hatte, bezeichnete jetzt in Bruneck all jene Verantwortungsträger, „die vor den Nationalstaaten auf die Knie fallen und
das internationale Recht auf Selbstbestimmung verneinen“, als „Gefahr für die Demokratie“. Und Bart De Valck, Vorsitzender der
Vlaamse Volksbeweging (VVB; Flämische Volksbewegung) stellte die volklich-nationale Eigenständigkeit über den (dieser meist
entgegengehaltenen) Primat der Wirtschaft: „Ohne Eigenständigkeit gibt es keine Grundlage für Wohlstand und Wohlergehen“.
Hoffnung, Mut und Zuversicht
Unter dem Motto „Heimat in Bewegung – Los von Rom“ zogen dann Tausende durch Bruneck, wo sich dem Auge ein
beeindruckendes Fahnenmeer zeigte. Immer wieder von Beifall unterbrochen indes die Abschlussrede Elmar Thalers. Der
Landeskommandant der Südtiroler Schützen und Hauptorganisator des „Unabhängigkeitstags“ wies eindrücklich darauf hin, wie
sehr Südtirol von Rom abhängig sei, das in den letzten Jahren die in ganz Europa wider besseres Wissen als „Modell“ angepriesene
Autonomie sukzessive entwerte. „Wir haben ein starkes Vaterland, und wir sind ja nach wie vor − zumindest kulturell − ein Teil
Österreichs“, just da gelte es anzuknüpfen und weiterzudenken, denn „die fertige Lösung, das perfekte Rezept für die
Unabhängigkeit für unser Land“ gebe es nicht. „Niemand weiß, was er kann, bevor er’s versucht, und niemand weiß, was er
erreichen kann, wenn er nicht nach mehr strebt“, rief Thaler dem enthusiasmierten Publikum zu und forderte von seinen
Landsleuten mehr Mut: „Wer etwas schaffen will, der muss zuversichtlich sein, der muss anpacken wollen, der muss etwas
wagen“. Unrechtsgrenzen könnten in Europa auf friedlichem Wege korrigiert werden, das habe die Geschichte bereits gelehrt.
Auch Deutschland sei unerwartet und entgegen allen Voraussagen wieder vereinigt worden.
„Es braucht den Mut zum Bekenntnis, denn nichts ist für immer, und nichts ist für die Ewigkeit“, lautet(e) denn auch das Fazit des
Veranstalters für den „Unabhängigkeitstag“, der trotz niedriger Temperaturen in hoffnungsfroher, ausgelassener Feierlaune
verlief. Für Stimmung sorgten Volkstanz- und Schuhplattlergruppen, Alphornbläser, Schwegler, Trommler, Goaßlschnöller,
Ziehorgel-Spieler und nicht zuletzt die Musikkgruppen „Volxrock“ sowie „Die Seer“. Einen außergewöhnlichen Festbeitrag leistete
der Südtiroler Heimatbund (SHB). Sein Heißluftballon trug den Schriftzug „Freiheit und Unabhängigkeit“ in die Lüfte. Der SHB
wollte damit nach Aussage seines Obmanns (Vorsitzenden) Roland Lang „das Freiheitsstreben der Tiroler und aller anderen
fremdbestimmten Volksgruppen unterstützen“.
Wenn sie, wie in Bruneck, ihren Weg mit Einsatz und Klugheit unerschrocken weiter beschreiten, dürfte sich ihre Hoffnung über
das philosophische Prinzip des Ernst Bloch hinaus in ein erreichbares Ziel verwandeln lassen.
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt war 27 Jahre Mitglied er F.A.Z.-Redaktion. Seit 2012 lehrt er an österreichischen und ungarischen
Hochschulen