© Andreas Hofer Bund e.V. 2015
Gastbeitrag von Prof. Dr.Dr. Reinhard Olt
Irrlichterne Polit-Cäsaren. Wien, Bozen die itaienische Parlamentswahlen und die
Doppelstaatsbürgerschaftsfrage
Der Ausgang der italienischen Parlamentswahl zeitigte nicht nur ein politisches
Erdbeben in einem bisweilen von verheerenden geologischen Erschütterungen
heimgesuchten Land. Die Ergebnisse des Urnengangs legten sowohl eine
parteifarbliche, als auch eine geopolitische Dreiteilung des Landes offen. Im
vergleichsweise prosperierenden Norden bis hin zur Salurner Klause dominieren
Matteo Salvinis Lega mitsamt Silvio Berlusconis Forza Italia nebst Anhängseln wie den
neofaschistischen „Brüdern Italiens“ (Fratelli d’Italia). Der dezimierte Partito
Democratico (PD) des wie eine Sternschnuppe verglühten (Kurzzeit-)Minister-
präsidenten und Parteichefs Matteo Renzi und seines adeligen Nachfolgers Paolo
Gentiloni konnte sich hingegen lediglich in Italiens Mitte, vornehmlich in der Emilia
Romagna sowie in der Toskana, halten.
Parteipolitisch drei-, sozialökonomisch zweigeteilt
Und nahezu das gesamte Terrain von den Marken über die Abruzzen und Apulien bis
zur Stiefelspitze – mit Ausnahme Kalabriens, wo das Rechtsbündnis siegte - sowie
Sardinien sind von den „Grillini“, der Protestpartei „MoVimento 5 Stelle“ (M5S),
erobert worden, deren juveniler Spitzenkandidat Luigi Di Maio ebenso wie Lega-Chef
Salvini Anspruch auf die Regierungsbildung erheben. Man ist geneigt, eine
abgewandelte Zeile aus Cäsars „Gallischem Krieg“ zu übertragen: „Italia est omnis divisa in partes tres ….“. ( „Italien ist in 3
Teile geteilt“)
Sieht man die als Folge der Kammer-und Senatswahl hervortretende parteipolitisch dreigeteilte Einfärbung vor dem Hintergrund
der sozialökonomischen Zweiteilung des Landes (in „reichen“ Norden und „armen“ Süden), so kommt einem unwillkürlich in den
Sinn: Mit der (1861 formell erzielten) „Einheit Italiens“, die Verfassungsartikel 5 („die eine, unteilbare Republik“) und
einschlägige Strafrechtsbestimmungen des nach wie vor geltenden faschistischen „Codice Rocco“ (Artikel 241 „Anschlag auf die
Einheit des Staates“ und Artikel 283 „Anschlag auf die Verfassung“) geradezu beschwören, kann es nicht allzu weit her sein.
Autonomer Pyrrhussieg
In Südtirol, als wirtschaftlich vergleichsweise erfolgreiche Autonome Provinz Bolzano-Alto Adige einer der kleinsten, aber wohl
am besten verwalteten Teile Italiens, treibt der Wahlausgang den maßgeblichen Vertretern der seit 70 Jahren dominanten
Volkspartei Sorgenfalten auf die Stirn. Zwar bejubeln sie ihren Wahlerfolg, denn die SVP kann drei Abgeordnete (zudem eine der
Partei ver -bundene und in einem Südtiroler Wahlbezirk auch von SVP-Sympathisanten zur Stimmenmehrheit verholfene PD-
Abgeordnete) in die Kammer sowie drei Senatoren (zudem einen ihr verbundenen und in einem Südtiroler Wahlbezirk auch von
SVP-Sympathisanten zur Mehrheit verholfenen PD-Senator) in die zweite Parlamentskammer nach Rom entsenden. Doch trotz
hymnisch orchestrierter Verlaut -barungen der Parteiführung erweist sich ihr Wahlerfolg als klassischer Pyrrhussieg.
Im Vergleich mit den Parlamentswahlen von 2013 hat die SVP ungefähr 20.000 Stimmen verloren. Die Wahlbeteiligung in Südtirol
ist gegenüber jener von vor fünf Jahren um durchschnittlich 13 Prozentpunkte gesunken. In 15 Gemeinden fiel sie um mehr als
20 Prozentpunkte. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Am 4. März 2018 machten sich 42.328 Wahlberechtigte weniger als fünf
Jahre zuvor zum Urnengang auf. Weitere Fakten: 2013 hatte das von der SVP geführte Bündnis für die Kammerwahl 176.128
Wähler hinter sich scharen können; jetzt waren es nurmehr deren 134.102 - ein Minus von rund 24 Prozent an Wählerstimmen.
Die Wahlbeteiligung lag 2013 bei 82,1 Prozent, diesmal bei 68,9 Prozent. Ähnlich das Bild bezüglich der Wahl in den Senat:
Konnte die SVP 2013 mit ihren Bündnispartnern 153.561 Stimmen holen, so waren es in diesem Jahr nur 126.091. Dies
entspricht einem Wählerabgang von 27.470 Stimmberechtigten und damit einem Minus von rund 22 Prozent im Vergleich zu 2013.
Zugleich sank die Beteiligung an der Wahl zur zweiten Parlamentskammer von 82,5 auf durchschnittlich 70,2 Prozent.
Ein auf die SVP zugeschnittenes Wahlgesetz….
Kein Wunder also, dass die Deutschtiroler Oppositionsparteien Freiheitliche (FPS) und Süd-Tiroler Freiheit (STF) in alldem eine
schwindende Zustimmung zur SVP sehen. FPS- Fraktionssprecherin Ulli Mair lastet der SVP an, sich „ohne Not und vor allem ohne
Zukunftsperspektive dem PD ausgeliefert und Südtirol eine schwere Hypothek aufgelastet” zu haben, zumal da der „SVP-
Bündnispartner und große Wahlverlierer PD Südtirol in eine Position der Schwäche gegenüber dem Zentralstaat manövriert“
habe.
Rückgang der Wahlbeteiligung und Stimmeneinbußen für die SVP sind auch der „Uniformität“ des für Südtirol geltenden
Wahlgesetzes geschuldet, welches deren Ex-Senator Karl Zeller mit ausgehandelt und seine Partei außerordentlich begünstigt
hat. Es legte die Hürden so hoch, dass von vornherein nur SVP-Kandidaten (oder solche verbündeter Parteien) eine Chance auf
Einzug in Kammer oder Senat hatten; weshalb die Deutschtiroler Opposition gar nicht erst antrat und empfahl, entweder der
Wahl fernzubleiben oder „weiß“ zu wählen.
….und landesfremde Kandidaten
Dieser Effekt machte sich besonders im Wahlkreis Bozen-Unterland bemerkbar, wo den Wählern die aufgrund des (im römischen
Parlament wie im Bozner Landhaus/Landtag gültigen) SVP-PD-Bündnisses provinzfremden PD-Kandidaten Maria Elena Boschi (für
die Kammer) und Gianclaudio Bressa (für den Senat) vorgesetzt wurden. Wobei gegen die vormalige Ministerin für Verfassungs -
reformen und Beziehungen zum Parlament der Regierung Renzi die Vorbehalte besonders groß waren (sogar unter SVP-
Anhängern). Die 2013 in der Toskana in die Abgeordnetenkammer Gewählte und alsbald in die PD-Führung Aufgestiegene war
zusammen mit Renzi die größte Verfechterin der geplanten (2016 aber am staatsweiten Referendum gescheiterten)
zentralistischen Verfassungsreform. Ausgerechnet in Südtirol hatte die SVP-Führung unter Obmann Philipp Achammer und
Landeshauptmann Arno Kompatscher - gegen den Rat ihrer „Altmandatare“, insbesondere des Experten und langjährigen
Senators Oskar Peterlini - aus Verbundenheit mit „Freund Renzi“ und Bündnistreue mit dessen PD zur Zustimmung aufgerufen.
Wenngleich just Frau Boschi damals der Ansicht war, die Autonomie sei ein „Ressourcen verschwendendes Relikt der
Vergangenheit“ und gehöre daher abgeschafft. Jetzt gerierte sie sich vor der Parlamentswahl indes als „glühende Verteidigerin
der Interessen Südtirols und seiner Autonomie“. Alle Ergebnisse zeigen, dass weder Boschi noch Bressa ohne die SVP-
Wahlkreisstimmen der Einzug in Kammer und Senat verwehrt geblieben wäre.
Italophilie statt parteiübergreifende Strategie
Aus alldem ergeben sich einige Befunde. Das Interesse an römischer Politik ist südlich des Brenners deutlich gesunken. Für Italien
ist aufgrund der Wahlergebnisse eine Art Interregnum sowie politische Instabilität zu erwarten. Südtirol bleibt davon nicht
unberührt, es ist, ganz im Gegenteil, stark davon betroffen. Die SVP, die sich jahrzehntelang in Äquidistanz zu allen römischen
Parteien gehalten hatte, hat unter Führung ihres italophilen Duos Achammer - Kompatscher eine deutliche Quittung für ihr
Zweckbündnis mit dem PD bekommen. Jetzt gibt sie sich der Hoffnung hin, von den autonomiekritischen bis -feindlichen
Wahlsiegern bei deren Poker um die Regierungsübernahme möglicherweise als „Zünglein an der Waage“ gebraucht zu werden und
sich dies „autonomiepolitisch“ entgelten zu lassen.
Ob’s das spielt, ist höchst zweifelhaft. Die angeblich international gut abgesicherte, „modellhafte“ Südtirol-Autonomie Südtirols
hatte schon unter der PD-Regierung sowie deren Vorgängern, insbesondere in der Ägide des vormaligen EU-Kommissars Monti,
einen schweren Stand. Und geht aus den Gewinnern der Parlamentswahl 2018 - Kräften, die den Austritt aus dem Euro und der
EU fordern und von Rom aus möglichst zentralistisch durchregieren wollen - eine wie auch immer colorierte Regierung hervor,
kann es für die von der SVP verabsolutierte Autonomie eigentlich nur noch schlimmer werden. Allmählich rächt es sich, dass sich
aus der SVP jene Mandatare und Funktionäre, die dem über Parteigrenzen hinaus gepflegten volkstumspolitischen Gedankengut
positiv gegenüberstanden, zurückzogen oder ausgeschieden worden sind. Denn spätestens jetzt wäre „Denken über den
Tellerrand hinaus“ vonnöten; noch besser wäre sozusagen die Ausarbeitung eines „Plans B“ zur Inanspruchnahme des
Selbstbestimmungsrechts, wobei alle Deutschtiroler Parteien Südtirols an einem Strang ziehen sollten.
Lackmustest Doppelstaatsbürgerschaft
Gerade jetzt wird die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft zum Lackmustest. Mit der Wiedererlangung der erstmals von einer
österreichischen Regierung – wenn auch versehen mit abschwächenden Formeln – in Aussicht gestellten Staatsbürgerschaft für
Südtiroler hätte Bozen ein starkes Schutzschild gegen zu erwartende römische Angriffe auf die Autonomie in der Hand. Doch auch
hierbei zeigt sich die Janusköpfigkeit der SVP. Obmann Achammer und Landeshauptmann Kompatscher gaben zunächst deutlich
zu erkennen, dass sie sogar jenen Beschluss des höchsten Parteigremiums, der SVP-Landesversammlung, aushebeln wollten, die
sich 2012 einstimmig für die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler ausgesprochen hatte.
Sodann rügte die Parteiführung in aller Öffentlichkeit jene mutigen sieben SVP-Landtags -abgeordneten, die den von insgesamt
19 Landtagsabgeordneten unterzeichneten Brief an den österreichischen Bundeskanzler (und ÖVP-Obmann) Sebastian Kurz sowie
den Vizekanzler (und FPÖ-Obmann) Heinz-Christian Strache mit dem entsprechenden Ersuchen um Erteilung der
Staatsbürgerschaft an Südtiroler mitunterzeichnet haben. Erst als die gut vernetzte „Vereinigung der SVP-,Altmandatare‘“ ihr
Gewicht in die Waagschale warf und sich auch positive Stimmen aus der (Nord-)Tiroler ÖVP (Landeshauptmann Günther Platter
und dessen Vorgänger Herwig van Staa sowie Wendelin Weingartner) pro Staatsbürgerschaftsbegehr vernehmen ließen, suchten
Achammer und Kompatscher von ihrem destruktiven Verhalten loszukommen.
Fakten schaffen – statt Kotau vor Rom
Jedoch hat es immer wieder den Anschein, als tue just Landeshauptmann Kompatscher einiges, um die Sache dennoch zu
hintertreiben. In Wien hat sich Kanzler Kurz ohnehin nur widerwillig auf des Koalitionspartners FPÖ Drängen in der
Staatsbürgerschaftsfrage eingelassen. Er dürfte sich bei seinen Bremsmanövern stets auf Italien herausreden und infolge der
neuen politischen Verhältnisse in Rom, die in der Staatsbürgerschaftsfrage für die Südtiroler kaum mehr als nichts erwarten
lassen, deren ungeliebtes Begehr dem Sankt-Nimmerleinstag anheimzugeben trachten. Es ist daher an der FPÖ, Druck auszuüben
und Fakten zu schaffen. Alle Rechtsgutachten besagen nämlich, dass es allein der souveränen Entscheidung Österreichs obliegt,
den Südtirolern, deren Vorfahren sie vor hundert Jahren genommen wurde, seine Staatsbürgerschaft wieder zu erteilen. Ein
Einvernehmen mit irrlichternden italienischen Polit-Cäsaren ist ebensowenig vonnöten wie ein unwürdiger Kotau vor römischen
Palazzi.
Der Autor ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist
Andreas Hofer Bund e.V.