Andreas Hofer Bund e.V.
© Andreas Hofer Bund e.V. 2015
Tirol
Politisch korrektes Schweigen - ein Beispiel von vielen
von Prof.Dr. Reinhard Olt
Nicht alles Übel kommt aus den USA, aber viele gesellschaftliche Erscheinungen
schwapp(t)en von dort zu uns West- und Mitteleuropäern herüber. „Political Correctness“
(„politische Korrektheit“; des Weiteren abgekürzt „PC“) bestimmt seit geraumer Zeit Politik
sowie Medien und schränkt – von der Bevölkerung kaum wahrgenommen oder
bequemlichkeitshalber ausgeblendet respektive ignoriert – unser Dasein, vor allem unser
Denken und Fühlen ein. PC formt mehr und mehr den öffentlichen Diskurs, bemächtigt sich
Forschung und Lehre an Hochschulen sowie des Unterrichts in pädagogischen Einrichtungen
und wirkt sich selbst auf privates Verhalten aus.
Unsere Wahrnehmung wird zusehends bestimmt von stromlinienförmig ausgerichteten
Hauptstrom-Medien, deren Wirkmacht umso größer ist, je besser es ihnen gelingt,
Rezipienten (Zuschauer, Zuhörer, Leser) nicht nur Information zu übermittelt, sondern ihnen
auch sofort zu zeigen, was/wie diese darüber zu denken haben. Damit ist jedweder
Meinungspluralismus ad absurdum geführt, und die systemimmanente Gleichförmigkeit trägt
à la longue Züge des Totalitären. Vertreter unerwünschter Meinungen mundtot zu machen,
ist mit das Schlimmste, was in einem demokratischen Gemeinwesen geschehen kann, zu dem
Meinungs- und Pressefreiheit de jure gehören, de facto indes durch PC wenn nicht bereits
ausgehebelt, so doch zumindest eingeschränkt sind.
Ignoranz und/oder Verschweigen
Zu den zerstörerischen Wirkungen politischer Korrektheit zählt das Ignorieren respektive gänzliche Verschweigen von Sachverhalten,
Ereignissen und (nicht nur neuen) Forschungsergebnissen. Dies insbesondere dann, wenn die akribische Auswertung und sorgfältige
Analyse von ans Licht geholten Fakten, die bisher im Dunkel verblieben waren, oder die Neubeleuchtung von Fakten „Erkenntnisse“
grundlegend zu erschüttern vermögen, auf denen bis dato für sakrosankt erachtete, historiographisch und/oder politisch
festgeschriebene sowie massenmedial verbreitete „Wahrheiten“ und/oder Meinungen respektive „Überzeugungen“ beruh(t)en. Dies lässt
sich bei der Betrachtung jüngerer Vorgänge, in deren Mittelpunkt Geschichte, Politik, Wissenschaft und Publizistik stehen, an einem
besonderen Beispiel auf geradezu bedrückende Weise aufzeigen.
Alljährlich gedenkt man am 8. Dezember im südlichen Landesteil Tirols, nämlich in St. Pauls (Gemeinde Eppan), der Freiheitskämpfer
der 1950er und 1960er Jahre. Eigentlicher Anlass ist der Tod des an den Folgen von italienischer Folter und Haft am 7. Dezember 1964
verstorbenen Gründers des Befreiungsauschusses Südtirol (BAS), Sepp Kerschbaumer. Gedacht wird zudem seiner Mitstreiter Kurt Welser,
Jörg Klotz, Toni Gostner, Franz Höfler und Luis Amplatz, die wie er für die Freiheit ihrer Heimat ihr Leben ließen.
Die Genannten konnten sich seinerzeit guten Gewissens auf eine fundamentale Sentenz berufen und davon leiten lassen, welche
konditioniert die strikte Aufforderung zur Tat verlangt: „Wenn Unrecht Recht wird, wird Widerstand Pflicht!“ Dieser wuchtige Satz
entstammt der Enzyklika „Sapientiae Christianae“ („Christliche Weisheiten“) von Leo XIII. und ist die Kurzform der darin enthaltenen
längeren päpstlichen Aussage vom 10. Januar 1890 darüber, dass Gesetze eines Staates im Widerspruch zum (göttlichen und weltlichen)
Recht stehen können. In derselben Tradition - und vor dem Hintergrund der deutschen, der österreichischen und damit auch der Tiroler
Geschichte - wird just auch der 1946 formulierte Lehrsatz des Gustav Radbruch schlagend: „Wo das gesatzte Recht dazu benutzt wird,
menschenverachtendes Unrecht auszuüben, wird der Widerstand für Jedermann zur Pflicht!“ Und Franz Klüber, einst Professor für
katholische Soziallehre in Regensburg, hatte in seiner aufschlussreichen, nach wie vor empfehlenswerten, 1963 erschienenen Schrift
„Moraltheologische und rechtliche Beurteilung aktiven Widerstandes im Kampf um Südtirol“ ausdrücklich festgehalten, dass gegen eine
als Unrechtssystem empfundene Ordnung oder Herrschaft Widerstand zu leisten nicht nur theologisch, sondern just auch juristisch
begründet sei.
Wer wollte bestreiten, dass Italien gegenüber Südtirol(ern) nicht nur während der Herrschaft von Mussolinis Schwarzhemden Unrecht
für Recht setzte, sondern auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs faschistisches (Un-)Recht im „demokratischen Gewande“ des nunmehr
republikanischen Staates beibehielt, nämlich den bis in unsere Tage partiell als Teil seines Strafrechts geltenden Codice Rocco? Damals
wurde die darin enthaltene Bestimmung „Verbrechen gegen die Einheit des Staates“ gegenüber den Südtiroler Freiheitskämpfern
angewendet, heute bietet ihn die Staatsanwaltschaft bisweilen auf, wenn Austro-Patrioten an Eisack und Etsch Plakate mit der
Aufschrift „Südtirol ist nicht Italien“ mit sich führen oder Angehörige der Łiga Vèneta zwischen Gardasee und dem Golf von Venedig für
die Eigenständigkeit Venetiens respektive dessen Loslösung von Italien demonstrieren. Allenfalls wenn die römische Staatsmacht
eingreift sowie „Rädelsführer“ festsetzt und ihnen den Prozess macht, wird in den herkömmlichen Medien darüber berichtet und - wenn
überhaupt dann politisch korrekt – wider „den Ungeist des Separatismus“ kommentiert. Ansonsten herrscht Schweigen.
Stereotypie und sakrosankte Zuschreibung
In Anbetracht der römischen Politik gegenüber den Tirolern deutscher und ladinischer Zunge zwischen Brenner und Salurner Klause
sowohl in der Zwischenkriegszeit, als auch insbesondere zwischen 1945 und dem leidvoll erkämpften und verhandelten
Autonomie(paket) 1969/1972 müssen die Aktionen der Südtiroler Freiheitskämpfer als sittlich, moralisch und juristisch gerechtfertigte
Widerstandshandlungen gewertet werden. Hierbei ist Wert zu legen auf die Feststellung „aller Freiheitskämpfer“. Politisch,
publizistisch und historiographisch wurden und werden nämlich Anlage und Wirkung ihrer Handlungen und Taten in Zweifel gezogen. Bis
heute gilt in Politik wie Publizistik und nicht zuletzt in den Wissenschaftsdisziplinen Zeitgeschichte und Politologie die/das von Italien
propagandistisch wider die BAS-Kämpfer gerichtete und verbreitete Stigmatisierung/Urteil als „Attentäter“ und „Terroristen“; und nicht
nur die österreichische, sondern weithin auch die deutsche und europäische veröffentlichte Meinung folgt(e), von Hauptstrom-Politik,
Hauptstrom-Medien sowie Hauptstrom-Wissenschaft und Hauptstrom-Lehre politisch korrekt instruiert, dieser stereotypen, ja
sakrosankten Zuschreibung.
Zudem haben Wissenschaft, Politik und Medien den Südtiroler Freiheitskampf einer nützlichen Segregation unterzogen, haben Akteure
und Aktivitäten säuberlich nach Zweckdienlichkeit für die politische, wissenschaftliche und publizistische Betrachtung unterteilt:
-
In eine erste Phase, die man zunächst aus der Sicht absoluter Gewaltlosigkeit zwar als moralisch verwerflich deklarierte, später
aber nolens volens als politisch hilfreich ansah, da sie ja doch anerkanntermaßen den Weg zum Autonomiepaket mitbereitet habe.
(Dennoch erklärte einer der maßgeblichen mit der Südtirol-Frage befassten Zeithistoriker, der ob seiner Akten-Editionen und
Monographien für ein großes Bozner Verlagshaus ebenso wie für die maßgeblich von der SVP seit 1948 gestellte Landesregierung quasi
wie die alleinige Autorität der Geschichtsschreibung und -deutung gilt, auch diese Phase für kontraproduktiv.)
-
Und in eine zweite Phase, in der die Aktivisten angeblich ohne Rücksicht auf Verluste gehandelt und demzufolge nicht mehr, wie in
Phase eins, Gewalt nur gegen Sachen, sondern auch gegen Menschen verübt hätten. Und dass dabei ideologisch bornierte
Rechtsextremisten, ja Nazi-Adepten für die Gewalttaten Verantwortung trügen. Diese Phase wird – entgegen den Aussagen aus der
Erlebnisgeneration und wider neuere Erkenntnisse/Forschungsergebnisse von Wissenschaft, Publizistik und Politik für gänzlich
verwerflich und unentschuldbar erklärt, und Beteiligte werden als niederträchtige Parias stigmatisiert.
Förmliche Rehabilitation – Österreichs Verpflichtung
Dem steht entgegen, was der (Militär-)Historiker Hubert Speckner mittels Auswertung bisher von niemandem eingesehener Akten des
Österreichischen Staatsarchivs in jahrelanger Forschung nachgewiesen hat, nämlich:
-
Dass das angebliche Attentat auf der Porzescharte am 25. Juni 1967 nicht stattfand.
-
Dass es zumindest nicht so stattfand, wie es italienischerseits dargestellt, von der österreichischen Politik leisetreterisch
übernommen und bis zur Stunde von wissenschaftlicher und publizistischer Seite – nicht zuletzt auch in Südtirol – als Faktum angesehen
wurde und, als gäbe es Speckners Publikation „Zwischen Porze und Roßkarspitz…“, Wien (Verlag Gra&Wis) 2013, überhaupt nicht, in
allen weiteren Verwendungszusammenhängen unhinterfragt prolongiert wird.
Niemand in Bozen, Innsbruck und Wien rührte bisher einen Finger zur Rehabilitierung der zu Unrecht der Tat bezichtigten und in Italien
unter widrigsten, von deutschen und österreichischen Höchstgerichten für menschen- und verfahrensrechtswidrig erklärten Umständen
zu hohen Haftstrafen verurteilten Freiheitskämpfer Univ.-Prof. Dr. med. Erhard Hartung und Egon Kufner (sowie den 2015 verstorbenen
Peter Kienesberger). Diese Urteile, die man aufgrund der Erkenntnisse Speckners Schandurteile nennen muss, gehörten zwingend
aufgehoben. Und es wäre Pflicht Österreichs, gegenüber Italien auf juristischem wie politisch-diplomatischem Wege just dafür zu
sorgen. Die Republik Österreich und die Medien, zumindest die öffentlich-rechtlichen sowie alle gedruckten Organe, die für sich den
Anspruch der Seriosität erheben, ihn diesbezüglich aber nicht einlösen, hätten zudem darauf hinzuwirken, dass die Genannten fortan
nicht länger „Attentäter“, „Terroristen“ und „Mörder“ genannt werden dürften.
In einer weiteren umfänglichen Studie „Von der ,Feuernacht‘ zur ,Porzescharte‘. Das ,Südtirolproblem‘ der 1960er Jahre in den
österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten, Wien (Verlag Gra&Wis) 2016 hat Speckner anhand von aufbereiteten 48 „aktenkundig
gewordenen Vorfällen“ aus der Zeit, in denen Südtiroler Freiheitskämpfer in Wort und Tat aktiv gewesen sind, akribisch nachgewiesen,
dass seine aus den Inhalten der jeweiligen österreichischen Dokumente gewonnenen Erkenntnisse essentiell von den offiziellen
italienischen Darstellungen abweichen. Auch hier gilt als Befund: Ignoranz und politische Korrektheit verhindern, dass „der Wahrheit
eine Gasse“ geschlagen, dass ihr ans Licht der breiten Öffentlichkeit verholfen wird.
Geschichtsrevisionistische Schlüsse
Über die luziden Befunde und schieren Erkenntnisse im Einzelnen hinaus lassen sich aus alldem einige geschichtsrevisionistische Schlüsse
ziehen. So fanden Aktionen des BAS ungefähr zeitgleich eine gewisse Parallelität durch Anschläge italienische Neofaschisten. Umgehend
instrumentalisierte Italien vor allem die von Speckner analysierten Vorfälle, insbesondere jene mit bis heute nicht einwandfrei geklärten
Hintergründen, und nutzte sie politisch, medial und propagandistisch gegen Österreich.
Italien hatte nach dem Zweiten Weltkrieg alles versucht, um alle Südtiroler – wegen der zwischen Hitler und Mussolini 1939 vereinbarten
„Option“, woraufhin bis 1941 ungefähr 90.000 Südtiroler „ins Reich“ umgesiedelt wurden - als Nazis zu stempeln. Und seit Ende der
1950er-Jahre stellte Italien alle BAS-Aktivisten in die recht(sextrem)e Ecke sowie politisch wie publizistisch unter Generalverdacht des
Neonazismus. Was in politischen Milieus Österreichs und Deutschlands von ganz links bis zur Mitte verfing und bis heute anhält, und
womit den Aktivisten bis zur Stunde Unrecht geschieht.
Die Südtiroler Freiheitskämpfer hatten aus schierer Verzweiflung ob der kolonialistischen Unterwerfungsgeste des „demokratischen“
Nachkriegsitaliens gehandelt. Und, besonders wichtig, weil es den gewohnt politisch-zweckmäßigen wie publizistischen „Fakten“
entgegensteht: Der BAS-Grundsatz, wonach „bei Anschlägen keine Menschen zu Schaden kommen dürfen“, wurde trotz Eskalation der
Gewalt zwischen 1961 („Feuernacht“) und 1969 (mehrheitliche Annahme des Südtirol-„Pakets“ durch die Südtiroler Volkspartei)
respektive 1972 (Zweites Autonomie-Statut) weitestgehend eingehalten.
Der Tod nahezu aller während dieser Jahre gewaltsam ums Leben gekommenen Personen ist nicht dem BAS als solchem anzulasten, wie
dies fälschlicherweise von der italienischen Justiz und den Mainstream-Medien Italiens, Österreichs und Deutschlands wahrheitswidrig
festgestellt sowie verbreitet wurde und auch heute noch behauptet wird. Stattdessen handelt es sich mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit um Unfälle – so im Falle des Todes von Bruno Bolognesi in der Pfitscher-Joch-Hütte am 23. Juni 1966 sowie von
Herbert Volgger, Martino Cossu und Franco Petrucci am 9. September 1966 auf der Steinalm-Hütte –, bzw. um eine fixe
Geheimdienstaktion – so im Falle des Todes von Olivo Dordi, Francesco Gentile, Mario Di Lecce und Armando Piva auf der Porzescharte
am 25./26. Juni 1967 sowie zudem im Falle des Todes von Filippo Foti und Edoardo Martini im „Alpenexpress“ zu Trient am 30.
September 1967. Bezüglich der Todesfälle Vittorio Tiralongo (3. September 1964), Palmero Ariu und Luigi De Gennaro (26. August 1965)
und schließlich auch des Salvatore Gabitta und des Guiseppe D’Ignoti (24. August 1966) waren die allfälligen Strafverfahren ohne
Anklageerhebung zufolge nicht ausreichender Erkenntnisse ohnedies eingestellt worden.
Für einige im Zusammenhang mit der Südtirol-Frage zwischen 1961 und 1963 in Österreich geplante und/oder ausgeführte Anschläge ist
dem BAS ursprünglich fälschlicherweise die Täterschaft zugeschrieben worden. Es waren dies die Detonation einer am Denkmal der
Republik in Wien angebrachten Sprengladung (30. April 1961), die Sprengung des Andreas-Hofer- Denkmals in Innsbruck (1. Oktober
1961), Schüsse auf die italienische Botschaft in Wien (8. Oktober 1961), Anschlagsversuche am Wiener Heldenplatz (27. Dezember 1961)
und auf das sowjetische Ehrenmal („Russendenkmal“; 18. August 1962) sowie der für den Gendarmen Kurt Gruber todbringende
Sprengstoffanschlag in Ebensee (23. September 1963), bei dem es zudem zwei Schwer- und neun Leichtverletzte gab.
Diese Taten waren von italienischen Neofaschisten bzw. von österreichischen Rechtsextremisten, die nicht dem BAS angehörten oder mit
ihm in Verbindung standen, begangen worden. Ein Zusammenhang zwischen den Anschlägen und dem BAS wurde und wird bis zur Stunde
wahrheitswidrig von ideologisierten Personen sowie von (nicht selten bewusst) falsch informierten/informierenden Medien in Österreich,
Italien und Deutschland sowie nicht zuletzt von staatlichen italienischen Stellen zur Gänze behauptet, um den BAS zu diskreditieren.
Rechtsbeugung und Opportunismus
Auf italienischen Druck hin und aus vorgeblicher Staatsräson hatte Wien damals wider besseres Wissen in vielen die Südtirol-Frage
bestimmenden Angelegenheiten den römischen Forderungen nachgegeben. Und zum Nachteil von Südtirol-Aktivisten war seinerzeit, als
Rom die EWG-Assoziierungsbemühungen Wiens wegen des Südtirol-Konflikts torpedierte, von beteiligten österreichischen Stellen
sozusagen aus vorauseilenden Gehorsam gegenüber Italien, mitunter aber auch aus bestimmten Interessenlagen, Recht gebeugt worden.
Es muss angesichts dieser instrumentalisierten Causen zutiefst bedrücken, dass Heerscharen von Betrachtern aus Politik, Kultur,
Publizistik und leider auch aus der Wissenschaft – nicht zuletzt auch in Südtirol – der geschichtspolitisch von Italien vorgegebenen und
von Österreich sanktionierten Betrachtungsweise folg(t)en: Wider besseres Wissen, dafür aber politisch korrekt und
grenzüberschreitend opportunistisch.