Andreas Hofer Bund e.V.
© Andreas Hofer Bund e.V. 2015
Freiheitskämpfer versus Terroristen
Wer Bas-Aktivisten mit mordenten leninisten Rotbrigadisten und anarcho-marxistischen
Gesinnungsgenossen gleichsetzt, betreibt Geschichtsklitterung
von Prof.Dr. Reinhard Olt
Kurz vor Weihnachten 2018 richteten die Kinder Heinrich Oberleiters, eines in Nordbayern
lebenden Südtiroler Freiheitskämpfers der 1960 Jahre, über einen Anwalt ein Gnadengesuch
für ihren Vater an den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella. Oberleiter ist 77
Jahre alt und einer der „Pusterer Buben“ (im Dialekt „Puschtra Buim“). Die
Selbstbezeichnung der Gruppe steht für vier legendäre Aktivisten des Befreiungsausschusses
Südtirol (BAS), der in Wort und Tat für die den Landesbewohnern 1918/19 sowie 1945/46
verweigerte Selbstbestimmung eintrat. Oberleiter gehört, wie Sepp Forer und Siegfried
Steger, die, wie ihr bereits verstorbener Kamerad Heinrich Oberlechner, nach der berühmten
„Feuernacht“ 1961 nach Österreich entkommen konnten, als der BAS, um die
Weltöffentlichkeit auf das Südtirol-Problem aufmerksam zu machen, rund um Bozen
zahlreiche Strommasten gesprengt hatte. In Italien wurden sie, wie die meisten ihrer mehr
als 100 festgenommenen BAS-Kameraden, in Abwesenheit zu langjährigen Haftstrafen
verurteilt und gelten - nicht nur dort - nach wie vor als Terroristen.
Dies zeigte sich jüngst daran, dass nach Überstellung des einstigen Kopfes der
linksextremistischen Organisation „Bewaffnete Proletarier für den Kommunismus“
(Proletari Armati per il Comunismo, PAC) Cesare Battisti von Bolivien nach Italien der
Abgeordnete Luca De Carlo an Mattarella appellierte, er möge die Begnadigung verweigern
und stattdessen „Druck auf die Regierung in Wien zur Auslieferung all jener ehemaligen
Südtiroler Terroristen ausüben, die sich für Verbrechen verantwortlich gemacht und in
Österreich Zuflucht gefunden“ hätten. De Carlo gehört, wie 16 Kammerabgeordnete und 7
Senatoren, den „Brüdern Italiens“ (Fratelli d’Italia; FdI) an, einer neo-faschistischen Partei, die sich in der Hervorkehrung ihrer an
Mussolini gemahnenden Propaganda von der „ewigen Italianità“ (Südtirols) vielleicht nur noch von der im Bozner
Kommunalparlament vertretenen „Casa Pound“-Partei übertreffen lässt. In beide Parlamentskammern konnten FdI-Mandatsträger im
März 2018 einziehen, da ihre Partei Teil des Mitte-rechts-Wahlbündnisses um Silvio Berlusconis Forza Italia (FI) und Matteo Salvinis
Lega Nord (LN) war.
Salvinis Bozner Statthalter Massimo Bessone hat zwar sogleich klargelegt, dass sich die LN – im Landtag ist sie seit Januar 2019
Koalitionspartner der Südtiroler Volkspartei (SVP) – keinesfalls das Verlangen der FdI zueigen machen werde. Dennoch muss man bis
zum Beweis des Gegenteils festhalten, dass sich, egal wer in Rom regiert(e), Italiens Betrachtungsweise um keinen Deut verändert(e),
wonach es sich bei BAS-Kämpfern wie bei den anarcho-marxistischen Gruppierungen und linksextremistischen Organisationen - PAC,
Lotta Continua („Der Kampf geht weiter“), Potere Operaio („Arbeiter-Macht“), Nuclei Armati Proletari (NAP; „Bewaffnete
Proletarische Zellen“) sowie den streng marxistisch-leninistischen Brigate Rosse („Roten Brigaden“, BR) und zahlreichen
Splittergruppen ebenso um Terroristen handele wie bei der rechtsextremistischen Ordine Nuovo (ON; „Neue Ordnung) und der
Avanguardia Nazionale („Nationalen Avantgarde) mitsamt Ablegern wie etwa den Nuclei Armati Rivoluzionari („Bewaffneten
Revolutionären Zellen“).
Gleichmacherische Betrachtungsweise
Die gleichmacherische Betrachtungsweise beschränkt sich leider nicht auf Italien. Doch wer sie betreibt oder ihr unhinterfragt folgt,
übersieht oder negiert die prinzipiellen Unterschiede nach Zielsetzung, Gewaltpotential und -ausmaß. Während sich sowohl die
genannten links-, als auch die rechtsextremistischen Gruppen die Beseitigung der demokratischen Ordnung in Italien mittels
bewaffneten Kampfes bzw. Putschens und deren Ersatz durch eine Diktatur des Proletariats bzw. ein autoritäres (Militär-)Regime zum
Ziel setzten, strebte der BAS nie den gesellschaftlichen Umsturz oder anti-demokratische Verhältnisse an. Der BAS verlangte vielmehr
die zweimal verweigerte Selbstbestimmung der Südtiroler, zumindest aber die Einlösung der von Italien 1946 vertraglich zugesicherten,
aber verwässerten Autonomie. Und kämpfte in Wort und Tat gegen Entrechtung und Entnationalisierung, d.h. gegen die auch vom
„demokratischen“ Italien praktizierte Zurücksetzung ihrer Landsleute sowie die massive Ansiedlung von Italienern zum Zwecke der
Umstülpung der ethnisch-kulturellen Verhältnisse. Die der existentiellen Notlage ihrer von Italien wie ein Kolonialvolk gehaltenen
Landsleute geschuldeten Gewalttaten, zunächst das Sprengen von Strommasten wie in der legendären „Feuernacht“ 1961, richteten die
BAS-Aktivisten ausschließlich gegen Sachen, nicht gegen Menschen. Hingegen machten links- wie rechtsextremistische Gruppen dabei
keine Unterschiede. So gingen beispielsweise allein auf das Konto der Rotbrigadisten 73 Mordanschläge und zahlreiche Entführungen
sowie Banküberfälle. Der Bombenanschlag von Rechtsextremisten auf der Piazza Fontana in Mailand forderte 14 Todesopfer, und bei
jenem auf den Hauptbahnhof von Bologna 1980 waren 85 Personen getötet und mehr als doppelt so viele verletzt worden.
„Inneritalienische Manipulation“
Die meisten der nach der „Feuernacht“ verhafteten BAS-Kämpfer haben, sofern sie Folter und Haft überlebten, ihre Strafen verbüßt.
Die entkommenen, wie die „Pusterer Buben“, können seit gut 50 Jahren wegen der (in Abwesenheit von italienischen Gerichten)
gegen sie ergangenen Urteile nicht wieder in ihre Südtiroler Heimat zurück. Es ist menschlich allzu verständlich, dass Oberleiters
Kinder um Begnadigung für ihren Vater bitten, der 2016 indes mit den Worten zitiert worden war, „ein Gnadengesuch bei Italiens
Staatspräsident kommt für mich nicht infrage, da ich mich nicht im Unrecht sehe und der Meinung bin und schon immer war, dass man
mit Aufrechtgehen weiter kommt als mit Kriechen.“ Ebenso verständlich ist aber auch, dass Sepp Forer und Siegfried Steger ein
Gnadengesuch für sich mit der Begründung ausschließen, damit sei eine – von ihnen strikt abgelehnte - Schuldanerkenntnis
verbunden. Und absolut nachvollziehbar ist die vom Sprecher der „Kameradschaft ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer“
eingenommene Position: Univ.-Prof. i.R. Dr. med. Erhard Hartung lehnt für sich und seinen Fall einen derartigen Schritt mit der
ebenso stichhaltigen Begründung ab, er habe die ihm – er war damals junger Arzt - im Zusammenhang mit dem „Attentat auf der
Porzescharte“ (1967) zur Last gelegte Tat ebensowenig begangen wie seine Mitstreiter Egon Kufner – damals Unteroffizier des
österreichischen Bundesheeres - und (der 2015 verstorbene, damalige Elektriker) Peter Kienesberger.
Der (Militär-)Historiker Oberst Dr. Hubert Speckner hat in seiner auf gründlichster Auswertung bisher verschlossener oder unbeachtet
gebliebener Akten fußenden voluminösen Publikation „Zwischen Porze und Roßkarspitz... Der ,Vorfall' vom 25. Juni 1967 in den
österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten. Mit einem Beitrag von Reinhard Olt und einem Vorwort von Michael Gehler'', Wien
(Verlag Gra&Wis) 2013, schlüssig nachgewiesen, dass sich der Vorfall in der Nacht vom 24. / 25. Juni 1967 an besagtem Grenz-
Übergang von Osttirol zur italienischen Provinz Belluno keinesfalls so ereignete wie ihn Italien darstellte (und Österreich politisch –
nicht juristisch – schluckte). Vielmehr konnte sich dort nur abgespielt haben, was der damalige österreichische Justizminister Hans
Richard Klecatsky seinerzeit schon eine „rein inneritalienische Manipulation“ genannt hatte. Was aber Bundeskanzler Josef Klaus
(ÖVP) weder in der Substanz noch in der Konsequenz aufgriff, sondern wider besseres Wissen ignorierte und aus (mutmaßlich
vorgeblichem) „Staats-Interesse“ negierte.
So ist erwiesen, dass unmittelbar nach den von italienischen Stellen verbreiteten „Attentats“-Meldungen der Osttiroler
Bezirkshauptmann Dr. Othmar Doblander sowie der ihn begleitende Bezirksgendarmeriekommandant Josef Scherer am Ort des
angeblichen Geschehens waren. Doblander hielt in seinem Bericht an Hofrat Dr. Max Stocker, den Tiroler Sicherheitsdirektor, fest, dass
er „mit Sicherheit auf der Porzescharte keine Minenfallen vorgefunden“ habe, die
italienische Soldaten getötet haben sollten. Dies teilte Stocker am 28. Juni auch dem Ministerialrat Dr. Franz Häusler vom
staatspolizeilichen Dienst im Wiener Innenministerium mit. Die erst neun Tage nach dem Geschehen auf der Porzescharte zur
Inspizierung eingesetzte gemischte italienisch-österreichische Untersuchungskommission fand indes den somit mehr als eine Woche
ungesicherten „Tatort" gänzlich anders vor als von Doblander beschrieben, woraus kein anderer Schluss zulässig sein kann, als dass er
in der Zwischenzeit manipulativ verändert worden sein musste.
Spreng(stoff)technische Expertisen untermauern historische Forschungsergebnisse
Hartung ist es verständlicherweise um seine völlige Rehabilitation zu tun. Nach Jahrzehnten des gegen ihn ergangenen (Fehl-)Urteils
und demzufolge auch der Fernhaltung von Wurzeln und Wirkungsstätte medizinisch-homöopathisch bedeutender familiärer Vorfahren
– diese betrieben in Riva am (vor dem Ersten Weltkrieg österreichischen) Gardasee ein von der Crème der Gesellschaft sowie den
Größen der europäischen Literatur gerühmtes Sanatorium ( http://www.tirolerland.tv/das-sanatorium-dr-von-hartungen-in-riva-am-
gardasee/ ) – wollte er Speckners grundstürzenden (militär)historische Forschungserträge zusätzlich von Spreng(stoff)experten
abgesichert wissen. Die drei der von Hartungs eingeschalteter Wiener Kanzlei Grama Schwaighofer Vondrak Rechtsanwälte GmbH
unabhängig voneinander beauftragten Sachverständigen untermauern denn auch in ihren Privatgutachten mittels naturwissenschaftlich-
technischer Expertisen Speckners Untersuchungsergebnisse:
-
So kam der international anerkannte deutsche Gutachter Dr.-Ing. Rainer Melzer (öffentlich bestellter und vereidigter
Sachverständiger für Einsturzverhalten, Erschütterungen und Schäden beim Abbruch von Bauwerken; Dresden) 2015 zu dem
unumstößlichen Befund, dass an dem in der Causa infrage stehende Strom-Mast Nr. 119 auf der Porzescharte am 25.06.1967
zwei Sprengungen vorgenommen worden seien. Bei Betrachtung aller vorliegenden Daten und Sachverhalte sei eine Täterschaft
Hartungs, Kienesbergers und Kufners infolgedessen auszuschließen.
-
Der gerichtlich zertifizierte österreichische Sprengstoff-Fachmann Mag. Maximilian Ruspeckhofer, der den angeblichen Tatort
mehrmals untersuchte, hielt in seiner sprengtechnischen Analyse zweifelsfrei fest, dass die Genannten unmöglich die Täter
gewesen sein konnten. So heißt es in seinem umfangreichen Gutachten abschließend: „Es besteht eine sehr hohe
Wahrscheinlichkeit, dass der Mast in zwei Etappen gesprengt wurde. Und das schließt die Täterschaft der damals
beschuldigten Personen aus. Es besteht darüber hinaus der dringende Verdacht, dass eine ursprünglich nicht detonierte
Ladung erst am nächsten Tag bzw. in den nächsten Tagen entfernt oder gezündet wurde. (Das Wesentliche ist auf
Ruspeckhofers WebSite https://www.ruspeckhofer.at/fachwissen/cold_case_porzescharte-8 enthalten.)
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Und die Kernaussage in dem vom dritten hinzugezogenen Experten 2018 erstellten (mit 120 Seiten umfangreichsten) Gutachten
lautet: „Im Rahmen der Gutachtenerstellung und aufgrund der sehr umfangreichen Befundaufnahme, der Rekonstruktion sowie
Detailanalysen der einzelnen Sachverhalte zu den aktenkundigen Angaben der Ereignisse vom 25. Juni 1967 auf der
Porzescharte, kann durch den gerichtlich beeideten und zertifizierten Sachverständigen Ing. Harald Hasler BSc MSc mit an
SICHERHEIT GRENZENDER WAHRSCHEINLICHKEIT gesagt werden, dass sich die Ereignisse so NICHT ereignet haben
können."
Welche Schlüsse sind aus alldem zu ziehen? Das Unrechtsurteil von Florenz (1971) ist zu annullieren. Mit den
Untersuchungsergebnissen Speckners sowie den vorliegenden Gutachten dürften genügend neue Beweismittel vorliegen, um
gegebenenfalls sogar eine dazu erforderliche Verfahrenswiederaufnahme zu begründen. Und nicht zuletzt sind die trotz Freispruchs in
Österreich bis zur Stunde mit dem Makel der Porze-Täterschaft behafteten Personen höchstamtlich und überdies
öffentlichkeitsvernehmlich zu rehabilitieren.
Schluss mit der Diskreditierung des Freiheitskampfs
Speckner hatte in einer weiteren opulenten Publikation „Von der ,Feuernacht‘ zur ,Porzescharte‘. Das ,Südtirolproblem‘ der 1960er
Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten, Wien (Verlag Gra&Wis) 2016 insgesamt 48 andere „Attentate“ bzw.
„Anschläge“ einer gründlichen Analyse unterzogen. Dabei erwies sich, dass die meisten entweder überhaupt nicht (so) stattfanden (wie
von Italien dargestellt) oder unter „falscher Flagge“ verübt wurden, um den BAS dafür verantwortlich zu machen, seine Aktivisten als
Terroristen zu verunglimpfen und damit den Südtiroler Freiheitskampf insgesamt zu diskreditieren. Andere Vorfälle dieser Art erwiesen
sich schlicht als Unfälle.
Es ist daher dringend und zwingend geboten, die zentralen amtlichen italienischen Darstellungen zum damaligen Geschehen als das zu
begreifen, was sie sind, nämlich Manipulationen und als solche Geschichtsfälschung. Italien, das dafür die Hauptverantwortung trägt,
hat in den letzten Jahren unzählige Schwerverbrecher und linke wie rechte ideologisch-terroristische Gesinnungstäter begnadigt.
Seinem jetzigen Staatsoberhaupt Sergio Mattarella stünde es daher gut an, nicht allein die Begnadigung Heinrich Oberleiters als Akt der
Menschlichkeit zu verfügen. Sondern es wäre längst an der Zeit, dass der 12. Präsident der Republik Italien hinsichtlich all jener
verbliebenen BAS-Leute, die schon seit mehr als 50 Jahren außerhalb ihrer Heimat zubringen müssen, fortgeschrittenen Alters sind
und für niemanden eine Gefahr darstellen, einen sauberen Schlussstrich zieht.