© Andreas Hofer Bund e.V. 2015
Schützenbund
Stachel im Fleisch der Politik. Von Reinhard Olt
Aller Widrigkeiten zum Trotz halten die Schützen im Süden des 1919 geteilten Landes an der Wiedervereinigung Tirols fest. Wer
sich mit historischen Publikationen zum Thema (Süd-) Tirol befasst und die mediale Berichterstattung der letzten Jahre verfolgt
hat, konnte folgenden Eindruck gewinnen: Mit der 1969 zustande gekommenen und 1972 statutarisch verankerten
Selbstverwaltung für die "Provincia autonoma di Bolzano - Alto Adige" und dem unlängst in Meran, Bozen und Wien politisch-
medial beweihräucherten Rückblick auf "25 Jahre österreichisch-italienische Streitbeilegung" von 1992 sei die seit Ende des
Ersten Weltkriegs schwärende Wunde der Teilung Tirols ein für allemal geschlossen. Weit gefehlt.
Demoskopische Erhebungen förderten zutage, dass in Österreich – insbesondere im Bundesland Tirol – wie im von Italien 1918
annektierten südlichen Teil Tirols das Empfinden historischen Unrechts sowie das Gefühl der Verbundenheit und
Zusammengehörigkeit nach wie vor ausgeprägt sind. http://www.eu-infothek.com/article/wien-und-die-selbstbestimmung-der-
tiroler-suedlich-des-brenners
Die große Mehrheit aller Befragten bekundete auch das Verlangen nach (einem Referendum zwischen Brenner und Salurner
Klause über die) Ausübung des sowohl nach dem Ersten, als auch nach dem Zweiten Weltkrieg der dortigen Bevölkerung
verweigerten Selbstbestimmungsrechts. Dafür sprachen sich sogar viele der befragten ethnischen Italiener in der benachbarten
Provinz Trient aus, mit der Bozen-Südtirol in einer "Regione Autonoma Trentino-Alto Adige" zwangsvereint ist.
In Südtirol selbst waren sich die Befragten – trotz unterschiedlicher Vorstellungen der maßgeblichen politischen Kräfte über die
anzustrebende weitere Entwicklung des Landes (Vollautonomie; Freistaat; Rückgliederung an Österreich) – mehrheitlich darüber
einig, dass dessen Zukunft jedenfalls in der Unabhängigkeit von Italien, mithin im "Los von Rom", zu suchen sei.
Bewahrung der Tiroler Identität
Dass Loslösung von Italien im öffentlichen Raum ein Diskussionsthema ist und bleibt, dafür sorgen (neben drei deutschtiroler
Oppositionsparteien, die seit der Landtagswahl von 2013 im Parlament zu Bozen zusammen 10 von 35 Abgeordneten stellen) der
Südtiroler Heimatbund (SHB), die Vereinigung ehemaliger Freiheitskämpfer, sowie vor allem der Südtiroler Schützenbund (SSB).
Dieser mitgliederstarke Traditionsverband, dessen Wurzeln ins frühe 16. Jahrhundert zurückreichen, tritt in Treue fest für die
Bewahrung der Tirolität im fremdnationalen Staat sowie unerschütterlich für die Aufrechterhaltung des Ziels der Landeseinheit
ein. Wiewohl politisch gänzlich unabhängig, bilden mehr als 6000 Mitglieder, von denen über 5000 in 140 Schützenkompanien
sowie in 3 Schützen(musik)kapellen aktiv sind, samt Familienangehörigen ein ansehnliches gesellschaftliches Potential.
Wann und wo immer sie aufmarschieren in ihrer pittoresken Montur, sind sie eine Augenweide fürs Publikum. Im alpinen
Tourismus würden ihre Farbtupfer fehlen, träten sie nicht in Kompaniestärke oder gar noch größeren Formationen auf, wenn es
gilt, gelebte Tradition augen- und ohrenfällig werden zu lassen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass zwischen Oberbayern
und Welschtirol (Trentino) beheimatete Schützenformationen an den meisten Urlaubsorten von Besuchern allzu gerne als
folkloristische Draufgabe auf ihren wohlverdienten Ferienaufenthalt empfunden werden.
Ursprünge des Schützenwesens
Wer indes einmal einen Blick in eine Ortschronik oder gar in ein Geschichtsbuch wirft, dem wird sich die historische Dimension
des Schützenwesens alsbald erschließen. Dies gilt samt und sonders für jene Landstriche im Dreieck zwischen Konstanz, Kufstein
und Ala an der Etsch (südlich Rofreit/Rovereto nahe dem Gardasee), die einst die "Gefürstete Grafschaft" respektive das "Land
im Gebirg’", wie es oft in Urkunden bezeichnet wird, mithin das alte Tirol ausmachten. Überall dort geht die Existenz der
Schützen auf das sogenannte Landlibell Kaiser Maximilians I. (1459–1519) zurück.
Der "letzte Ritter", wie man ihn auch nennt, erließ 1511 jenen urkundlich verbrieften Rechtsakt, in welchem er die Freiheiten
der Tiroler Stände festlegte und damit zugleich das Wehrwesen und also die Organisation der Landesverteidigung durch
Aufgebote städtischer und ländlicher Bewohner mitsamt einer Aufteilung der Mannschaftskontingente regelte. Das Landlibell
legte fest, dass die Tiroler nicht verpflichtet waren, für einen Herrscher außerhalb der Landesgrenzen in den Krieg zu ziehen.
Dafür sicherten die Stände zu, bei Feindeseinfall Tirol zu verteidigen.
Volksheld Andreas Hofer
Weithin bekannt wurde das Tiroler Schützenwesen vor allem durch die Abwehrkämpfe während der kriegerischen Einfälle der
Bayern 1703 sowie der Franzosen (nebst ihrer bayerischen Verbündeten) in den Jahren 1796/97 und 1809. Die Bergisel-
Schlachten unter dem aus dem Südtiroler Passeiertal stammenden Kommandanten und Volkshelden Andreas Hofer – plastisch und
drastisch nachzuverfolgen am "Riesenrundgemälde" im Tirol-Panorama, einem eigens 2010 errichteten Museum am gleichnamigen
Berg nahe Innsbruck – trugen wesentlich dazu bei, dass der Mythos vom wehrhaften Bergvolk, das selbst Napoleon trotzte, in
ganz Europa bekannt wurde.
Das Landlibell galt im Kern bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, und selbst während des Ersten Weltkriegs wurden
Tiroler Standschützen stets nur zur Verteidigung der Heimat und eben nicht auf außertirolischen Kriegsschauplätzen eingesetzt.
Daran und an "500 Jahre Landlibell als Geburtsurkunde der Tiroler Schützen" war 2011 in Innsbruck im Beisein von deren
Abordnungen aus eben jenem historischen Tirol – des österreichischen Bundeslandes sowie der italienischen Provinzen Bozen-
Südtirol und Trentino – feierlich erinnert worden.
Heutiges Engagement
Nirgendwo dort fehlen Schützen bei einer größeren Festveranstaltung. Fast in jeder Gemeinde gibt es eine Kompanie, die bei
festlichen Anlässen "ausrückt" und mittels Gewehrsalven eines Schützen-Detachements den Festcharakter lautstark unterstreicht.
Heutzutage haben diese Waffen tragenden Tiroler in ihren schmucken, regional und sogar lokal unterschiedlichen Uniformen
feindliche Truppen nicht mehr abzuwehren, wenngleich Degen und Karabiner zu ihrer "Standardausrüstung" gehören. Der
wehrhafte Geist ist ihnen indes ganz und gar nicht abhandengekommen, wenn sie sich – im engeren wie im weiteren Sinne – um
die "Heimat" kümmern: Sie initiieren und beteiligen sich aktiv an Renovierungsaktionen für Bauwerke; dasselbe gilt für
Reinigungsaktivitäten besonders dort, wo das Wegwerfgut des Massentourismus zu beseitigen ist.
Vor allem aber engagieren sie sich in der sozialen Fürsorge für ältere Mitbürger. Trotz äußerlicher Verschiedenheit, wie sie an
Gewand und Hüten, an Uniform-/Tracht- und Hutschmuck sowie an ihren Fahnen auszumachen ist, eint sie Tradition und
Heimatverbundenheit, wie sie sich in den Grundsätzen des Schützenwesens manifestieren (dazu gehören "Treue zu Gott und dem
Erbe der Väter", "Schutz von Heimat und Vaterland" sowie "Einheit des Landes").
Kampf für die Landeseinheit
Letzteres führte mitunter zu Auseinandersetzungen in und zwischen den drei maßgeblichen Schützenverbänden – sehr stark
beeinflusst von den in den Tiroler Landesteilen dominanten politischen Kräften respektive regierenden Parteien, von denen im
Bundesland Tirol die ÖVP und in der Provinz Bozen-Südtirol deren Pendant SVP seit dem Zweiten Weltkrieg ununterbrochen an
der Macht sind. Dass Streit über die Landeseinheit mittlerweile als "Schnee von gestern" gelten darf, ist in erster Linie dem
Betreiben des SSB und dessen Landeskommandanten Major Elmar Thaler sowie der Mitwirkung seines Pendants im Norden - Major
Fritz Tiefenthaler, Kommandant des Bundes Tiroler Schützenkompanien (BTSK) – zuzuschreiben.
Hieß der übergreifende Grundsatz zwischen Nord und Süd in den 1990er Jahren "geistige und kulturelle Landeseinheit", so ist in
den letzten Jahren, weitgehend inauguriert vom SSB, immer stärker auch die "politische Einheit des Landes" in den Mittelpunkt
gemeinsamer Zielsetzungen gerückt. Und mit der Neugründung eines (die ansonsten eigenständigen Schützenverbände Tirols,
Südtirols und Welschtirols) vereinigenden "Verbandes Tiroler Schützen" (VTS) wurde die "Landeseinheit Tirols" in dessen Statut
fixiert. Jedes Jahr übernimmt ein anderer Landeskommandant die Führung der darin vereinten mehr als 20.000 Schützen
Gesamttirols.
Freiheitsmarsch
Sichtbarster Ausdruck der Veränderung vom "unpolitischen" – und von zeitgeistfrommen Zeitgenossen abschätzig "heimattümelnd"
genannten – Charakter zu einem durchaus ernstzunehmenden politischen Faktor in beiden Teilen Tirols war der "Freiheitsmarsch"
der Schützen 2012 in Bozen. Damit war erstmals auch die personifizierte gesamttirolische Verbandseinheit dokumentiert worden,
indem der Südtiroler Landeskommandant Elmar Thaler, der Nordtiroler Fritz Tiefenthaler und der Welschtiroler Giuseppe Corona
an der Spitze den farbenprächtigen Zug von Tausenden ihrer Mannen nebst Marketenderinnen und Sympathisanten in gleichem
Schritt und Tritt quer durch die Stadt auf den Platz vor das Landhaus (Landtag) zur Abschlusskundgebung führten.
"Unser Staat ist das nicht"
Dort fassten sie zusammen, was die einzelnen Kompanien in griffige Parolen gekleidet auf Spruchbändern mit sich geführt hatten
und was Ziel des demonstrativen, aber gänzlich unmartialisch verlaufenen Aufmarschs sein sollte: Der "Mut zum Bekenntnis und
zur Tat" gipfelte in dem wider Italien gerichteten Bekenntnis "Unser Staat ist das nicht", respektive im Verlangen "Schluss mit der
italienischen Verwaltung".
In Anlehnung an den November 1989 in der damaligen DDR hieß es auch auf rotweißen Spruchbändern, die der Tiroler Adler
zierte: "Wir sind das Volk". Womit zugleich das Verlangen nach Wiedervereinigung des seit Ende des Ersten Weltkriegs geteilten
Tirols Ausdruck fand. All das verdichtete sich in den beiden markanten Parolen von der "Ausübung des Selbstbestimmungsrechts"
und der "Verabschiedung aus Italien", mithin dem "Los von Rom".
Es fehlte auch nicht an Schelte für "Politiker, die der Landeseinheit im Wege stehen". Vom SSB initiierte und organisierte
"Unabhängigkeitstag" in Meran 2013 und in Bruneck 2016, zu denen sich Vertreter zielgleicher nationaler Minderheiten aus Europa
einfanden, gerieten zu selbstbewussten Manifestationen wider assimilatorische Entnationalisierung sowie des unbedingten
Willens zur Selbstbehauptung und des Verlangens nach Verwirklichung des in der UN-Charta verankerten
Selbstbestimmungsrechts.
Die neue SVP-Führung ist italophil
Die Schützen wissen, dass sie mit derartigen Aktivitäten mitunter auf Ablehnung stoßen: nicht allein in Rom (zur Gänze) sowie
(weithin) in der politischen Klasse Wiens und Innsbrucks, sondern auch und vor allem bei der SVP. Die 1945 gegründete
"Sammelpartei" hat sich längst mit den obwaltenden, weil mitgestalteten Verhältnissen arrangiert.
Dem Arrangement fiel das in ihren Parteistatuten als Gründungszweck und hehres Verwirklichungsziel verankerte
Selbstbestimmungsbegehr "realpolitisch" ebenso zum Opfer wie ihr die einst auch von ihr als höchsten Daseinszweck propagierte
Landeseinheit faktisch obsolet geworden ist. Dies legte die seit der Streitbeilegung 1992 immer öfter ins Auge stechende, dem
Machterhalt dienende und für Funktions- und Amtsträger sowie dem sozial und ökonomisch nutznießenden Teil der eigenen
Wählerklientel einträgliche Maxime des "Kompromisses um jeden Preis" offen. Man tritt der gegenwärtigen SVP-Führung und dem
Gros ihrer Parlamentarier gewiss nicht zu nahe, wenn man sie, wie es einer ihrer früheren Mandatare tut, als italophil
bezeichnet.
Dass dies zwangsläufig zu Konflikten mit dem Schützenbund führen muss(te), dessen Wiedergründung ohne Beistand und Rückhalt
der SVP 1957 kaum denkbar gewesen wäre und zu dessen erstem Kommandanten infolgedessen der damalige Landeshauptmann
Dr. Alois Pupp bestimmt worden war, ist in den letzten Jahren häufig zutage getreten. Das Wiederaufleben des im italienischen
Faschismus verbotenen Schützenwesens geschah gegen den hartnäckigen Widerstand des "demokratischen Italiens", das – in
Südtirol übrigens bis heute – zäh sein geistiges faschistisches Erbe verteidigt. In Rom war und ist man sich der Bedeutung des
Schützenwesens bewusst, dessen traditioneller Daseinszweck auf Bewahrung der Identität und Freiheit der Tiroler sowie auf
Wiedererlangen der Landeseinheit gerichtet ist.
In Treue fest zur Heimat
Von den 1950er bis zu den frühen 1980er Jahren herrschte hinsichtlich dieser Ausrichtung weithin Übereinstimmung mit der SVP,
zudem bestand eine gewisse personelle Identität. Man tut wohl niemandem Unrecht, wenn man den SSB bis zur zäsuralen
"Schützenrevolte" auf der denkwürdigen Landesversammlung (dem Parteitag) 1986 in Meran als eine der SVP-
"Vorfeldorganisationen" charakterisiert.
Das hat sich seitdem fundamental geändert. Zwischen SVP und SSB, der sich von ihr emanzipierte und mehr und mehr zum
Stachel im Fleische der Politik wurde, ist heute der Bruch unübersehbar. Die Schützen haben wieder und wieder bewiesen, dass
sie trotz (gesellschafts)politischen Gegenwinds an ihrem historisch begründeten und legitimierten Auftrag sowie an ihrem
tradierten Wertegefüge festhalten und standfest bleiben. Daher ist es vornehmlich ihnen zu danken, dass das letzte Wort
bezüglich der Zukunft (Süd-)Tirols wohl noch lange nicht gesprochen ist.
Andreas Hofer Bund e.V.