Andreas Hofer Bund e.V.
© Andreas Hofer Bund e.V. 2015

Innsbruck

Rede des L.-Abg. Sven Knoll der Südtiroler Freiheit Tiroler Landsleute! Wir stehen heute hier, um ein Denkmal einzuweihen, das an die Ermordung des Marlinger Lehrers Franz Innerhofer erinnert. Sein Tod steht im Zusammenhang mit dem Überfall der Faschisten auf die unschuldige Bevölkerung von Bozen und ist als Blutsonntag in die Geschichte Tirols eingegangen, der den Auftakt zur faschistischen Schreckensherrschaft bildete. Wenn ich heute hier in der Burggräfler Tracht stehe und die Gedenkrede halte, so geschieht dies nich zufällig, sondern in bewusster Anerkennung für Franz Innerhofer, der zu Lebzeiten die tirolischen Werte und Traditionen stets hochhielt und in der Stunde seines gewaltsamen Todes in der Burggräfler Tracht starb. Es war ein strahlend schöner Tag, als sich am Sonntag den 24. April 1921 bunte Trachtengruppen und Musikkapellen aus allen Landesteilen in den Straßen von Bozen sammelten, um die Frühlingsmesse mit einem großen Trachtenumzug zu eröffnen, wie man ihn noch aus den Zeiten vor dem Kriege her kannte. Obwohl es bereits seit Tagen Gerüchte über eine geplante Störaktionen italienischer Faschisten gab, wollte man diesen Gerüchten keinen Glauben schenken, umso weniger, da ja das Trachtenfest alles eher als irgend eine Beziehung zur Politik hatte oder gar eine Demonstration gegen irgendwen bedeuten sollte. Der Leiter der Bozner Faschisten hatte aber bereits in den Tagen zuvor an mehrere Faschistengruppen in Italien telegraphiert, dass sie am 24. April Mannschaften nach Bozen entsenden sollten. Als am Sonntag um 8 Uhr morgens dann tatsächlich mehrere hundert Faschisten aus den Zügen von Süden kommend stiegen und mit Totschlägern, Revolvern und sogar Handgranaten über den Waltherplatz zogen, wurden umgehend die italienischen Sicherheitsbehörden informiert, die aber versicherten, dass kein Anlass zur Sorge bestehe, da alles vorgekehrt worden sei, um Gewalttätigkeiten zu verhindern. Welchen Wert diese Zusicherung hatte, zeigte sich dann aber am Nachmittag. Unter dem Jubel der Bevölkerung startete der Festzug um 1 Uhr nachmittags und zog durch die Laubengasse, den Kornplatz, über den Waltherplatz, an der Pfarrkirche vorbei in die Poststraße. Dort angekommen drangen plötzlich die Faschisten in den Festzug und marschierten in Viererreihen, schreiend, die Bevölkerung beschimpfend und mit einem von einem Gasthof zuvor abgerissenen Tiroler Adler ihren Spott treibend, im so auseinandergerissenen Festzug mit. Als am Obstmarkt die Rufe der Empörung der Zuschauer ob dieser Provokation immer lauter wurden, begannen die Faschisten auf einmal mit ihren Stöcken auf die Leute einzuschlagen, schossen mit Revolvern auf die Zuseher und warfen Handgranaten in die Menschenmenge. Um zu verstehen, was in diesen Stunden in Bozen passiert ist, möchte ich den kurzen Bericht eines Zeitzeugen vorlesen, der in der Zeitung, „Der Tiroler“ wenige Tage später abgedruckt wurde. Er schreibt: „Gerade im Begriffe, von der Vintlerstraße kommend, in die Wangergasse einzubiegen, kommen die Vorreiter des Festzuges daher. Plötzlich rast die Menge panikartig einher: Kinder und Frauen werden niedergestoßen. Aus dem jammernden, schreienden Menschenknäuel ertönen zunächst verworrene Rufe, die alsbald in die vernehmbaren Schreckensworte zusammenklingen: „Geschossen, geschossen wird!“ Mit Mühe erfährt man von einem und anderen: „Die Faschisten haben am Obstmarkt geschossen und Bomben geworfen!“ Beißender Pulverdampf verbreitet sich und erhöht den Schrecken der Menge. Vergebliches Bemühen, die stürmenden Leute aufzuhalten. Schreckenspanik erfaßt auch die Zuschauer und wie unaufhaltsame Wogen flutet die Menge zurück. Ich laufe der Masse entgegen, durch die Franziskanergasse dem Obstmarkt zu. Ein Bekannter fragt: „Was ist los?“ „Die Faschisten haben am Obstmarkt geschossen!“ „Um Gottes Willen, meine Frau!“ Je näher dem Obstmarkt, desto mehr verebbt die Menge. Aus den Haustüren, hinter die sich zahlreiche Leute flüchten, klingt lautes Kinderweinen, unterdrücktes und angstvolles Schluchzen. Mitten im Frieden, bei einem harmlosen Feste haben Verbrecher ein biederes, arbeitsames Volk, das nichts als seine Ruhe will, überfallen. Grenzenlose Wut steigt auf und unsereinem, der kein Politiker ist, steigt die Erkenntnis auf: Nein, nein, ein Vertrauen kann sich zu diesem Staat nicht entwickeln. Der Obstmarkt selbst ist völlig leer, die wenigen Menschen drängen sich verängstigten Küchlein gleich zu den Haustüren. Nur einige beherzte Männer stehen herum. Die Augen brennend, das Antlitz dunkelrot, in den Gesichtern der Grimm über unsere Ohnmacht, die grenzenlose Wut deutlich verratend. Die Erzählungen schwirren nur so herum. Die vielen Gerüchte vermehren den Grimm. Es ist unmöglich, die Gerüchte gleich auf die Wahrheit zu prüfen. Soviel aber ist sicher, dass das Faschistenverbrechen ein Todesopfer und eine große Zahl von Verwundeten teils durch Revolverschüsse, teils durch Bombenwürfe zur Folge gehabt hatte. Allmählich rückt Militär heran. Zunächst ein Zug. Er sperrt den Obstmarkt gegen die Franziskanergasse ab. Ein Leichtverwundeter in Tracht wird sichtbar. Was ist Ihnen passiert? Er zeigt auf die von Bombensplittern herrührenden Wunden im Gesicht. Ich frage um Name und Adresse. Er gibt sie. „Sind Sie bereit, vor Gericht Zeugnis abzulegen?“ „Und ob!“ Weiteres Militär erscheint. Sie drängen die Leute, die sich nunmehr wieder mehr und mehr sammeln, von den in den Obstmarkt einmündenden Straßen ab.... Plötzlich heftiges Geschrei: Ein baumlanger bekannter Bozner Herr, schon ein älterer Mann, dem aber Wut und Kraft den Arm gestählt, hält einen der Faschisten fest und will ihn den Carabinieri übergeben. Ein Pfiff und schon stürzt ein ganzes Rudel dieser Burschen auf ihn ein. Er bekommt Hiebe, entreißt aber einem den Knüppel und einige von den jungen Verbrechern bekommen tüchtige Hiebe.“ Wenige Meter weiter, vor dem Ansitz Stillendorf haben sich zeitgleich dramatische Szenen abgespielt. Als am Obstmarkt die Panik ausbrach, wollte der Schulleiter Franz Innerhofer, der als Mitglied der Marlinger Musikkapelle am Festzug teilgenommen hatte, zwei Knaben in Sicherheit bringen und lief mit ihnen durch die Wangergasse. Im Trubel verlor er jedoch einen der Buben in der Menschenmenge, stürmte mit dem anderen aber weiter. Plötzlich stellten sich ihnen vier Faschisten in den Weg, als sich Innerhofer schützend vor den Bub stellte zog einer der Faschisten seinen Revolver und schoß auf Innerhofer. Der tödlich verletzte flüchtete durch das Tor des nahegelegenen Ansitzes Stillendorf und lief noch mit letzter Kraft die erste Treppe des Stiegenhauses hinan, sank dort aber auf der zweiten Stiege nieder, das Angesicht den Stufen zugewandt und hauchte dort sein junges Leben aus. Die Bilanz dieses Blutsonntags waren 2 Todesopfer und 48 teils schwer Verletzte. Wer nun aber glaubt, dass die herbeigerufenen italienischen Sicherheitsorgane die Täter verfolgt und verhaftet hätten, der irrt gewaltig. Als diese Verbrecher ihr Schandwerk vollbracht hatten, sammelten sie sich johlend und triumphierend vor dem Hotel Kaiserkrone, verwüsteten dort noch das Cafe Kusseth und zogen dann in Begleitung von Offizieren des italienischen Militärs wieder zum Bahnhof. Kein einziger dieser faschistischen Verbrecher wurde je zur Rechenschaft gezogen oder bestraft! Die italienische Zeitung „Popolo d'Italia“ schrieb zu den Vorfällen in Bozen sogar: Da es weder geographisch, noch wirtschaftlich, noch ethnographisch ein Südtirol gibt, sondern nur ein Alto Adige, so haben sich die Deutschen den neuen Tatsachen zu fügen. Am Brenner sind wir und am Brenner bleiben wir, um jeden Preis und mit jedem Mittel... Wenn sich die Deutschen dies- und jenseits des Brenners nicht fügen, dann werden ihnen die Faschisten den Gehorsam beibringen. In Italien gibt es mehrerer Hunderttausend Faschisten, die bereit sind Südtirol eher zu zerstören und zu verwüsten, als die Trikolore, die auf der Vetta d'Italia weht, einziehen zu lassen. Als ein Jahr später die Faschisten in Italien die Macht übernahmen, wurde das, was die Bozner am Blutsonntag erlebt hatten, zur Staatspolitik. Auch in Innsbruck war man erschüttert von den Ereignissen in Bozen. Als Zeichen der Anteilnahme wurden alle Veranstaltungen abgesagt und an den öffentlichen Gebäuden Trauerfahnen angebracht. Zum zehnten Jahrestag der Ermordung von Franz Innerhofer entschloss sich der Andreas-Hofer-Bund-Tirol dazu, einen Gedenkstein zu errichten, um an Franz Innerhofer, das erste Blutopfer der Faschisten in Süd-Tirol zu gedenken. Am 26. April 1931 wurde der Gedenkstein, der damals am Rennweg, an der Mauer des Hofburggartens stand, feierlich eingeweiht. Vertreter von Vereinen, Musikkapellen, Trachtengruppen, die Tiroler Lehrerschaft und selbst der Bürgermeister und der Vize- Bürgermeister von Innsbruck waren gekommen, um Franz Innerhofer die Ehre Tirols zu erweisen. Die Witwe von Franz Innerhofer und deren Tochter blieb die Teilnahme an der Feier jedoch versagt, da sich Italien weigerte, ihnen Reisepässe auszustellen. Der Gedenkstein hatte aber kein langes Bestehen, denn als 1938 der Anschluss Österreichs an Nazi Deutschland erfolgte, wurde der Stein umgehend wieder entfernt, war er doch eine unverhohlene Kritik an der Politik des verbündeten faschistischen Italiens. Dass der Stein mit der Inschrift aber nicht zerstört wurde, sondern hinter einem Kasten des Volkskundemuseums versteckt wurde, wo er Mitte der 90er Jahre vom Andreas Hofer Bund wiederentdeckt wurde, ist eine glückliche Fügung der Geschichte. Seither gab es mehrfach Pläne zur Wiedererrichtung des Denkmals. Heute ist es soweit! Wir stehen hier am Tummelplatz in Innsbruck, vor dem wiedererrichteten Innerhofer-Denkmal, dass nun als Mahnmahl ober der Stadt thront und uns daran erinnert, nie zu vergessen, welches Leid Faschismus und Nationalsozialismus über Tirol gebracht haben. Vor allem aber ruft uns dieser Gedenkstein stets auf's Neue ins Bewusstsein, welches Unrecht Süd-Tirol widerfahren ist und leider bis heute noch immer widerfährt. Franz Innerhofer war das erste Opfer des italienischen Faschismus in Süd-Tirol, aber er war leider nicht das letzte Opfer. Denken wir nur an die Katakombenlehrer, an die unzähligen jungen Süd-Tiroler, die für Mussolinis Großmachtphantasien im Abessinien-Feldzug und beim Angriff gegen die Sowjetunion ihr Leben lassen mussten, aber denken wir auch an die Süd-Tiroler Freiheitskämpfer der 50er und 60er Jahre, die wohl als die letzten Opfer des italienischen Faschismus anzusehen sind. Mit Gesetzen, die noch aus der Zeit des Faschismus stammten, wurden sie verfolgt, gefoltert und eingekerkert. Ja manche sogar im Auftrag des italienischen Staates ermordet! Selbst in den 70er Jahren erfolgten noch in Abwesenheit der Angeklagten, menschenrechtswidrige Verurteilungen zu lebenslanger Haft, welche die Rückkehr der im Exil lebenden Freiheitskämpfer nach Süd-Tirol, bis heute unmöglich machen. Der Mörder von Franz Innerhofer wurde nie gefunden, oder sagen wir es anders, er wurde nie gesucht. Er ist längst tot und hat sich einem höheren Gericht verantworten müssen, welches ihm wohl seiner gerechten Strafe zugeführt hat. Was aber nicht tot ist, ist der Geist des Faschismus, der hinter diesem Mord steht. Im Bozner Rathaus sitzen seit der letzten Wahl wieder bekennende Faschisten im Gemeinderat, die Mussolini als den größten Staatsmann des Jahrhunderts feiern. Für jede Stadt, für jedes, Dorf, für jeden Bach, ja selbst bis hinauf auf jeden Berggipfel gibt es noch immer faschistische, italienischklingende Ortsnamen, die bis heute alleinige amtliche Gültigkeit haben und dabei nur einen einzigen Zweck erfüllen, nämlich, und so steht es wörtlich im Gesetzesdekret „Süd-Tirol schnell und nachhaltig zu italienisieren“. Damit aber nicht genug, in Bozen wird gerade mit Steuergeldern ein Relief von Benito Mussolini auf Hochglanz poliert, welches den Siegeszug des Faschismus verherrlicht. Anstatt dieses Relief und andere faschistische Relikte endlich abzutragen und in ein Museum zu stellen, werden sie aus Rücksicht auf Italien von der Politik geduldet und lediglich mit kleinen Erklärungsschriften versehen, die aber nichts an der menschenverachtenden Ideologie dahinter ändern. Franz Innerhofer hat nicht weggesehen, sondern sich dem Faschismus, im wahrsten Sinn des Wortes, in den Weg gestellt und dabei sein Leben geopfert um ein Kind zu schützen. Es braucht daher Erinnerungsorte wie diesen hier, damit im Bewusstsein der Öffentlichkeit Unrecht nicht zu Recht wird und Menschen wie Franz Innerhofer nicht umsonst gestorben sind. Vorallem aber braucht es wieder aufrechte Tiroler nördlich und südlich des Brenners, die sich nicht länger davor scheuen, das Unrecht auch beim Namen zu nennen, denn solange Süd-Tirol noch zu Italien gehört und am Brenner eine Unrechtsgrenze Tiroler im Norden von Tirolern im Süden trennt, wird es keine Gerechtigkeit und auch keinen dauerhaften Frieden geben.
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